Bin ich bereits für ein 35mm Objektiv mehr als 12.000 – in Worten Zwölftausend – Euro auszugeben? Mit Sicherheit nicht, aber so ziemlich genau der Betrag steht auf dem Preisschild eines Leica Noctilux M f0.95/50mm. Ich habe weder das notwendige Kleingeld, noch sehe ich einen Anwendungszweck für mich jenseits von «nice to have» und Spielerei. Wofür braucht man bitte eine Blende 0.95? Ja klar, Nachtaufnahmen könnten mit etwas schnellerer Verschlusszeit gemacht werden, und in Sachen Tiefenschärfe ergibt sich ein nettes Potential, aber auf der anderen Seite ist der Schärfebereich bei Offenblende verschwindend gering und was dank mehr Licht und schnellerer Verschlusszeit vielleicht nicht mehr verwackelt, birgt Gefahr im winzigen Schärfebereich bei der Fokussierung nicht richtig getroffen zu werden. Ausserdem deckt das riesige Objektiv das Messucherfeld zum Teil ab und ist alles andere als federleicht. Wir lernen also, das ist verdammt viel Geld für ein paar wenige Lichtblicke und ziemlich viele Nachteile. Aber da gibt es ja noch das Land des Lächelns, das immer wieder gut für Nachbauten teurer Luxusgüter ist. In dem Fall werden für ein TTArtisan f0.95/50mm mit M-Mount gerade mal 660,- Schweizer Franken fällig. Per se nicht billig, aber in der Relation zum Noctilux geradezu ein Schnäppchen und Grund genug sich wieder mal selbst zu beschenken.
Optik und Haptik des Artisan sind tadellos, der Fokusring läuft geschmeidig, mit perfektem Widerstand. Der Blendenring rastet wunderbar ein, soweit alles prima. Das Gewicht – uff. Und warum bitte liegt dem ganzen ein Schraubenzieher bei? Tja, Teil des günstigen Preises ist wohl der DIY Ansatz in Sachen Kalibrierung. Ganz Recht, die Linse ist grob vorkalibriert, muss aber für optimale Ergebnisse im Regelfall selbst nachkalibriert werden. Dafür liegt eine spartanische Papieranleitung samt aufgedruckter Fokussierhilfe bei. Grob gesagt läuft das wie folgt: Man lege die Fokussierhilfe im Abstand von 2 Metern zur Kamera auf den Boden (oder eine geeignete Oberfläche), richtet die Kamera im Winkel von 30 Grad zur Fokussierhilfe aus (Stativ mit Kugelkopf helfen da ungemein) und peilt das Kreuz in der Mitte an. Je nachdem, ob der Schärfebereich jetzt vor oder hinter besagtem Kreuz liegt, müssen am Objektiv 3 Schrauben gelöst werden und ein innenliegender Ring am Objektivbajonett mit oder gegen den Uhrzeigerring um 5mm gedreht werden, um das ganze danach wieder von vorne zu beginnen, bis schliesslich das fokussierte Messucherbild auch eine tatsächlich scharfe Fotografie ergibt. Wem alleine bei der Vorstellung schon die Hände zittern und der Angstschweiss auf der Stirn steht, dem rate ich dringend von einem TTArtisan ab. Alle anderen dürfen sich derweil bewusst machen, dass das ganze nochmals eine neue Dimension gewinnt, wenn man nicht im Besitz einer digitalen Kameralösung ist. Da ist das Überprüfungsbild per Knopfdruck schliesslich schnell erledigt und sofort zur Ansicht bereit. Für die analoge Fraktion liegen die Hürden deutlich höher. Einstellen, belichten, Bild entwickeln und überprüfen erscheint wenig praktikabel. Gut wenn man sich jetzt an das Prinzip Grossformat erinnert. Hier wird ja ein Bild durch die Linse auf die Mattscheibe der hinteren Standarte zwecks Scharfeinstellung geworfen. Genau dieses Prinzip können wir uns auch bei der 35mm Kamera halt ein paar Nummern kleiner zu Nutze machen. Man nehme also ein Stück Glas, schneide es in Grösse eines 35mm Negativs zurecht und schleife es mit ein wenig Korund bis es milchig ist. Schon haben wir unsere Mattscheibe, die wir bei geöffnetem Verschluss (fixierter Kabelauslöser bei Verschlusszeit «B») und geöffneten Filmfenster von hinten auf die Kamera legen können. Eine Fokussierlupe im Arsenal zu haben wäre jetzt ebenfalls hilfreich, denn so können wir direkt auf der Mattscheibe ausreichend gross sehen, was unsere Kalibriereinstellung in Sachen Bildschärfe ergibt und falls nötig unmittelbar korrigieren.
Ich habe mich dem zweifelhaften Kalibriervergnügen einen Nachmittag lang hingegeben, ohne jemals die 100%ige Deckungsgleichheit erreicht zu haben, aber besser als vorher ist es allemal und die Bildergebnisse bei Offenblende erscheinen mir scharf genug (die Beispielbilder sind Prints, die noch im Wasser schwimmen).
Fazit: Man muss wohl weder ein Noctilux noch ein TTArtisan haben, aber Spass macht es definitiv mit ISO400 bei Dunkelheit unterwegs zu sein und noch immer aus der Hand fotografieren zu können. Und die Freistellungsqualitäten bei weit geöffneter Linse sind tatsächlich nicht von schlechten Eltern. Da kommt doch fast schon Mittelformatfeeling auf.